Lagerfeld: Ein vielseitig kreativer Geist, der die Mode über ein halbes Jahrhundert prägte

Besonders als Neuerfinder ehemaliger Vintage-Marken wie Chanel, Chloé und Fendi bekannt, verlieh Karl Lagerfeld einer an sich flüchtigen Industrie einen überraschenden Sinn für Kontinuität. So kam es dazu.

Dieser Beitrag enthält Werbung und Affiliate-Partner-Links. Bild: Nahaufnahme aus der aktuellen Kollektion von Chanel, ©Olivier Saillant. Chanel News.

English Version

Karl Lagerfeld, Modedesigner, Fotograf, Bücherliebhaber, Verleger, Politkarikaturist… ohne ein großer Couturier zu sein, prägte der vielseitig interessierte Lagerfeld die Modewelt so lange wie kein anderer und verband dabei zwei an sich widersprüchliche Konzepte: Einerseits die Mode, von Natur aus vergänglich und ständig im Wandel, andererseits seine eigene Interpretation unveränderlicher Markenkodes, die ihn äußerst erfolgreich machte. Herausragend dabei ist seine Leistung für Chloé, Chanel und Fendi, drei Marken, die ohne seinen Einfluss längst der Vergangenheit angehören würden und heute aktueller denn je sind. Wir schauen uns die Highlights seines Werdegangs näher an, um zu verstehen, inwiefern sein Talent aus angeblich Vergänglichem Dauerhaftes zu machen, bis heute für Furore sorgt.

Die Anfänge

Karl Lagerfeld, Jahrgang 1933, entstammte einer großbürgerlichen norddeutschen Familie und wuchs in einer vornehmen Villa nahe Hamburgs auf. Der kleine Außenseiter sah schon damals ganz anders aus als die meisten Buben seiner Zeit: Sein gut frisiertes Haar trug er immer länger, seine Kleidung war stets makellos, sein Blick wirkte reif, und seine Aufmerksamkeit widmete er vielmehr der Kunst in seinem Zimmer als dem Fußballspielen auf dem Schulhof. Er konnte stundenlang allein bleiben, zeichnen und sich dabei von der Welt, die damals aus Hitlerdeutschland und Krieg bestand, abkoppeln. Lagerfeld redete nicht viel über diese Zeit und überhaupt über sein Privatleben. Bekannt ist allenfalls, dass seine Mutter, die er abgöttisch liebte, ihn mit den Wörtern „Deutschland ist tot“ ermunterte, das Land nach dem Krieg zu verlassen. Paris, die Stadt der Mode, der Kultur und der Raffinesse, welche die aufstrebende Mutter für sich beanspruchte, wurde zu seinem Ziel.

Das Heim der Familie Lagerfeld. Bild: Julius Struve †1934, Sammlung Schadendorf.

Ein junger Deutscher in Paris

Lagerfeld beschäftigte sich in Paris mit dem Zeichnen und lernte fleißig Französisch. Wie zufällig, schrieb er sich 1954 beim Wettbewerb des Internationalen Wollsekretariats ein, und gewann unerwartet den ersten Preis. Sein ausgefallenes Design eines Mantels überzeugte die strenge Jury und rückte den jungen Deutschen sofort ins Rampenlicht. Allerdings musste er sich diesen frühen Ruhm mit jemand anderes teilen: Ein blutjunger Yves Saint Laurent nahm ebenfalls am Wettbewerb teil und gewann ebenso den ersten Preis für den Entwurf eines Abendkleides. Für beide erwies sich diese Auszeichnung als bestmöglicher Karrierestart: Saint Laurent wurde von Dior unter Vertrag genommen, Lagerfeld bekam Angebote der Häuser Balmain und Jean Patou

Lagerfelds Preisträger-Mantel von 1954. Bild: ©Bundeskunsthalle zur Ausstellung: Karl Lagerfeld. Modemethode, Bonn, 2015.

Der Freiberufler, der mit der Zeit ging

Während Saint Laurent einige Zeit später die Nachfolge des verstorbenen Diors antrat und sich über die Jahre auf den Aufbau einer eigenen Marke mit den eigenen Kreationen konzentrierte, arbeitete Lagerfeld vielmehr freiberuflich für diverse Modehäuser. Er zeichnete und karikierte weiter, weitete sein Interesse an Bücher und Fotografie aus und blickte immer wieder um sich herum. Er wollte den Markt kennenlernen, die Dynamik des Modegeschäfts verinnerlichen und bewies damit jedes Mal eine Professionalität, die über das Modedesign hinausging. Zunehmend ließ er durchblicken, was er vor allem war: Ein Kreativer, der in keiner Schublade passte und neue Anregungen immer wieder suchte. 


Für Marken wie Balmain, Jean Patou, Chloé, Fendi und Chanel war Karl Lagerfeld freiberuflich tätig.

Beharrlich und unermüdlich, ging Lagerfeld mit der Zeit. Kein neuer Star, kein beliebtes Starlet, ließ er liegen, wenn es darum ging sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und zu begreifen, was gerade los war. Er verstand genau, was die Leute jedes Mal wollten und was schon passé, gar „démodé“, war. Dabei wurde er immer mehr zur Ikone: Je schneller sich die Welt sich um ihn herum wandelte, je öfter er sich Mitten im Rummel befand, desto eifriger suchte er eine subtile Distanz. Mit dunklen Sonnenbrillen, Fächern, fingerlosen Handschuhen und einer unverkennbaren, strengen Silhouette, baute er eine unsichtbare Barriere um sich und bestätige dabei seine Aussage:

„Zwischen mir und dem Rest der Welt steht eine Glaswand“.

Der Marken-Erneuerer

Die Unverkennbarkeit, die Lagerfelds Image bis zu seinem Lebensende auszeichnete, wirkte so enigmatisch, dass sie bald Begehrlichkeiten erweckte: Er wurde zum Star der Modewelt, zur Stilikone, mit der Prominente in Verbindung gebracht werden wollten. Dabei exerzierte er nur zu gut den wichtigsten Erfolgsfaktor der Luxusgüterindustrie: Sei einzigartig, selten, werde begehrenswert. Genau dieses Prinzip setzte er als Kreativdirektor bei Chloé, Fendi und Chanel ein, wo er über Jahrzehnte blieb: Mit einem scharfen Blick erfasste er genau jenes Unverkennbare, jenes Unverwechselbare, welches die Essenz jeder Marke ausmachte, tränkte es mit dem von ihm gierig aufgenommenen Zeitgeist durch, und gab es so erfrischend neu wieder, dass alle es haben wollten.

Die Chloé-Zeit (1963-1983 und 1992-1997)

Anfang der siebziger Jahre, als die Menschen immer mehr in Nostalgie schwelgten, vertiefte Lagerfeld die Zusammenarbeit mit dem Jahr 1952 gegründeten Hauses Chloé. Die von der Ägypterin Gaby Aghion erschaffene Marke, zeichnete sich bereits seit ihrer Entstehung durch eine zarte junge Note aus: Während in den Fünfzigern Haute Couture noch hoch im Kurs stand, präsentierte Aghion luftig-feminine, einfach zu tragende Prêt-à-Porter-Stücke und erlangte dabei die Aufmerksamkeit junger Frauen. Lagerfeld griff genau diesen Kern auf und bediente sich der ätherisch angehauchten Art déco-Ästhetik Gustav Klimts und Aubrey Beardsleys, um die lässige, mädchenhafte Weiblichkeit Chloés nostalgisch aufzufrischen. Seine Kreationen übernahmen Chloés fließende, feminine Linien und personifizierten den für sie charakteristischen, nonchalanten Pariser Chic. Bis heute lebt die Marke Chloé von dieser Assoziation, die immer wieder aufs Neue interpretiert wird.

Chloé veröffentlichte auf Twitter Bilder des von Lagerfeld für die Marke entworfenen Rachmaninoff-Kleides aus 1973. Bild: ©Chloé.

Die Fendi-Zeit (1965-2019)

Als Lagerfeld 1965 als Designer von den Fendi-Schwestern engagiert wurde, hatte sich die römische Firma bereits einen Namen für hochwertige Pelz und Lederwaren gemacht. Seit über vierzig Jahren stand Fendi für gutes Handwerk und Tradition, war aber in der Modewelt keine wirkliche Größe. Lagerfeld änderte diesen Zustand auf seine Art: Er entwarf das heute ikonische, umgekehrte FF-Logo, modernisierte die traditionellen Pelzkreationen der Marke mit gewagten, innovativen Designs, und befreite sie von jeglichen altbackenen Reminiszenzen.

Wollmantel mit Pelz aus der aktuellen Kollektion von Fendi mit dem ikonischen umgekehrten FF-Logo auf den Taschen.

Mit Lagerfeld wurden Fendis Pelze zu „Haute Fourrure“ in Anlehnung an „Haute Couture“ und zu ausgefallenen, unheimlich begehrten Prêt-à-Porter-Stücke. Über die Jahrzehnte agierte Lagerfeld als kreativer Kopf für Fendi, trug dazu bei, die Marke auf Mode, Accessoires und Parfums auszuweiten, und interpretierte den typisch römischen, zeitlosen Sex-Appeal, den er in der Marke entdeckte, immer wieder neu. Lagerfeld spielte ebenfalls eine wichtige Rolle in der Internationalisierung des Hauses. Ein Höhepunkt dabei: Die gewaltige Fendi-Modeschau im November 2007 auf der Chinesischen Mauer, die zum längsten Laufsteg der Welt wurde. Dabei brachte er zum Ausdruck, was er bereits von der magnetischen Kraft von Marken hielt:

„Logos und Branding sind so wichtig. In einem großen Teil der Welt Menschen können kein Französisch oder Englisch lesen – aber erinnern sich an Zeichen“.

Die Chanel-Zeit (1983-2019)

Was für Fendi galt, galt erst recht für Chanel. Lagerfelds Modeschauen für die von Gabrielle Chanel 1918 gegründeten Marke, erlangten besonders in den letzten Jahren einen legendären Charakter: Sie wurden immer fantasievoller, immer erzählerischer, immer kolossaler in der Inszenierung. Dabei war die Marke, als Lagerfeld 1983 die kreative Leitung übernahm, an einem Tiefpunkt angelangt: Sie galt als altmodisch, nett für ältere Damen, nichts aber für junge, dynamische Frauen. Paradoxerweise war aber gerade Chanel die Marke, die das komplette Gegenteil von „Altmodisch“ bei ihrer Entstehung verkörperte: Die Gründerin erhob den unerhörten Anspruch, die Stoffe, Schnitte, Farben und Kombinationen, die aufgrund ihrer Bequemlichkeit und Funktionalität ausschließlich Männer vorbehalten waren, in die Frauenbekleidung einzusetzen.

Nahaufnahme aus der aktuellen Kollektion von Chanel. Bild: ©Olivier Saillant. Chanel News.

Lagerfeld lebte die revolutionäre Erbe Chanels wieder auf. Wie einst Gabrielle Chanel, besaß er ebenfalls ein gutes Gespür für die Umbrüche der Zeit und interpretierte die von ihr entworfenen, ikonischen Modestücke für die Frauen der Achtziger, Neunziger und des neuen Millenniums immer wieder neu. Er erkannte in den alten Kreationen Chanels die Elemente einer Marke, die ganz eng mit der aufstrebenden, freiheitsliebenden Persönlichkeit ihrer Schöpferin verknüpft war: Die Kamelie als Blume der Halbwelt-Damen, die Pumps mit dunkler Kappe, die ausschweifenden Perlenketten, die bunten Broschen aus Glassteinen, die protzigen Armbänder, die Kastenjacke, die Goldknöpfe mit Löwenknopf, die Tasche mit Schulterkette, die Tweed-Ensembles, das Doppel-C-Logo, die schwarze Schleife. Er griff Chanels Markenkodex auf, gab ihn nun verdichtet im Geist der Zeit wieder und ermöglichte so den Frauen, das Zeitlose an Chanel mit einem aktuellen Gefühl für Luxus zu verbinden. Unter der kreativen Leitung Lagerfelds wurde Chanel zu dem milliardenschweren, global agierenden Unternehmen, das wir heute kennen.

Die Welt des diskreten Mannes

Lagerfeld, der Modeschöpfer, der Marken-Erneuerer, der vielseitig tätige Künstler entwickelte ebenfalls Eigenmarken, die er aber nicht sonderlich verfolgte. Seine Kreativität widmete er vor allem den Marken seiner Kunden, seinen 300.000 Büchern, seinen Publikationen, seinen Fotografien, seinen Zeichnungen und Karikaturen, und machte aus seinem Privatleben ein Tempel, zu dem nur eng Vertraute Zugang hatten. Er schuf sich privat eine ruhige, traumhafte Umgebung, mal im Stil des achtzehnten Jahrhunderts, mal im Stil des Art déco, die ihn vor dem quirligen Hin und Her der Modewelt da draußen schützte. Nebenbei lässt sich aufgreifen, dass er inzwischen ein Vermögen besaß, das ihm erlaubte, für seine engsten Mitarbeiter „nach seinem Ableben zu sorgen“. Großzügig war er, wie seine Freunde ihm nachsagen, diskret war er aber auch. Seine große Liebe war Jacques de Bascher, mit dem er achtzehn Jahre lang eine Liebesbeziehung unterhielt und der vor dreißig Jahren an Aids starb. Mehr über sein Liebesleben ist nicht bekannt. Der am 19. Februar 2019 in Paris verstorbene Karl Lagerfeld sollte in einem Interview gesagt haben:

„Nach mir die Sintflut. Es fängt mit mir an, es hört mit mir auf. Sonst ist mir alles total egal, nur meine Arbeit und ein paar Menschen sind mir durchaus nicht egal“.

Sein Vermächtnis dennoch bleibt bestehen, in Form seines dauerhaften Einflusses einer Branche, die gerade für ihre Flüchtigkeit bekannt ist. 

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